Das Intervall zwischen dem zweiten und dritten Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht war geprägt von einer sich global ausbreitenden Pandemie und dem Bemühen um dessen Eingrenzung in steter Abwägung risikoethischer Zumutbarkeiten. Der Charakter der Krise in seiner Globalität, Gleichzeitigkeit, Bedrohlichkeit und unklaren Verlaufsperspektive bedeutete massive Unsicherheit, durch die es auf sämtlichen Entscheidungsebenen hindurchzuarbeiten galt. Das Pandemiegeschehen konterkarierte damit bisweilen auch die Umsetzung der zehn Handlungsempfehlungen des vorherigen Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts, da Krisenabwehr und -bewältigung neue Prioritäten setzten. Andererseits betonte die Krise auch Erkenntnisse des Berichts, die aus der Branche heraus aufgegriffen und adressiert wurden. Im Folgenden sollen diese Entwicklungen nachgezeichnet und im Lichte der Handlungsempfehlungen des zweiten Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts eingeordnet werden.
Verständnis der Branche
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein politisches Konstrukt und als Zusammenschluss von 63 Wirtschaftszweigen, subsumiert unter elf Teilmärkte, aufwendig zu fassen. Strukturell unterscheidet sich die Branche von anderen Industrien sowohl aufgrund ihrer Kleinteiligkeit als auch der Hybridität der in ihr gelebten Erwerbsformen. Gemeint ist das gleichzeitige Ausüben einer angestellten und (mindestens) einer selbstständigen Tätigkeit. Charakteristisch für die Kultur- und Kreativwirtschaft wiederum ist, dass es sich hierbei zumeist nicht um komplexere Organisationen, sondern Soloselbstständige ohne weitere Beschäftigte handelt. Die besondere Branchenstruktur ist dabei zunächst nicht so sehr Ausweis eines sich im Wandel befindlichen, von technologischen Entwicklungen und Flexibilisierungstendenzen geprägten Arbeitsmarktes, sondern der ökonomischen Eigenschaften kreativer Aktivität1 selbst und dessen Verwertbarkeit. Mit dem vorliegenden Bericht wurde die bestehende Kultur- und Kreativwirtschaftsstatistik erweitert und erstmalig die Situation der Soloselbstständigen systematisch ausgeleuchtet. Bereitgestellt werden damit wichtige Strukturinformationen, die zu einem präziseren Verständnis der Branche beitragen.
Weiterhin herauszustellen ist die höhere Publikationsfrequenz des Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts, herausgegeben vom Bayerischen Wirtschaftsministerium, und damit die engere Beobachtung der Branchenentwicklung. Die Verfügbarkeit aktueller, belastbarer Zahlen ist Bedingung einer analytischen Beschäftigung mit der Branche und wichtige Voraussetzung evidenzgeleiteter Politik. Erwähnenswert ist darüber hinaus auch das Engagement des Verbands der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft (BLVKK), die in Kooperation mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult (IW Consult), den sogenannten „vbw KreativIndex“ entwickelt haben. Der Index setzt sich zusammen aus drei Teilindizes Beschäftigung, Expertenmeinung und Medienecho und soll als Stimmungsbarometer zukünftig regelmäßig erhoben und veröffentlicht werden. Damit tragen die Entwicklungen im Bereich der forscherischen Begleitung zur genaueren Bestimmung der wirtschaftlichen Lage, nicht aber der ihr zugrundeliegenden Wertschöpfungsprozesse bei. Die Kultur- und Kreativwirtschaft stellt ein außerordentlich dynamisches, vernetztes und innovationstreibendendes Wirtschaftsfeld dar, das sich mit den etablierten Instrumenten der Statistik nur eingeschränkt durchdringen und wirtschaftspolitisch handhaben lässt. Die besonderen Schwierigkeiten in der statistischen Erfassung zunehmend digitaler Geschäftsmodelle erläutert der Kulturwirtschaftsstatistiker Michael Söndermann im Gespräch in Kapitel 1. Der im zweiten Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht zum Ausdruck gebrachte Bedarf an interdisziplinärer, methodenvielfältiger Forschung, die auf ein tiefes Verstehen kultur-und kreativwirtschaftlicher Phänomene und der darin begründeten Wertschöpfungspraxis – also wie entwickeln sich Realitäten – abzielt, ist daher weiterhin hoch und nicht gedeckt.
Gemeinsames Handeln
Die ausführlichen Gespräche mit den Fachverbänden der elf Teilmärkte im Rahmen des zweiten Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts haben Zurückhaltung bei der Frage einer teilmarktübergreifenden Verständigung und doch eine deutliche Parallelität in den branchenintern geführten Debatten erkennen lassen. Bearbeitet wurden etwa Fragen von Wert und Bewertung kultur- und kreativwirtschaftlicher Leistungen, Fragen der angemessenen Vergütung, der Förderung ebenso wie der Sicherung von Rechten. Zu ergänzen wären heute sicherlich mit erhöhter Dringlichkeit Themen wie Nachhaltigkeit, digitale Märkte oder Künstliche Intelligenz. Gewachsen ist mit den Gesprächen zugleich aber auch eine Sensibilität für die gemeinschaftlichen Anliegen der Branche, die doch eine Offenheit für den teilmarktübergreifenden Dialog gefördert hat. Vereinzelt fand ein solcher bereits statt, da, wo es inhaltlich handwerkliche Bezugspunkte gab, wie etwa zwischen dem Buch- und Pressemarkt oder auch dem Buchmarkt und der Filmwirtschaft. Selbstkritisch wurde jedoch ein ausgeprägtes Silodenken festgestellt, das wenig Verständigung über branchenspezifische Themen oder Themen von gesellschaftlicher Relevanz zulässt. Auch wurde erkannt, dass die starke Fragmentierung der Branche und ihrer Vertretungen tendenziell ein Verlust an politischer Sichtbarkeit und Durchsetzungskraft bedeutet. Die Pandemie lässt sich als Beleg lesen, die just in die Veröffentlichung des zweiten Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts hineinbrach und in ihrer frühen Phase ein erhebliches Stimmgewirr und Nebeneinander von Partikularinteressen produziert hatte.
Zu begrüßen sind daher Ansätze, die die Empfehlung des letzten Berichts aufgreifen bzw. stützen und auf einen teilmarktübergreifenden Wissens- und Erfahrungsaustausch bis hin zur gemeinsamen Positionsbestimmung hinwirken. Zu nennen sind hier der im Oktober 2019 gegründete Bayerische Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft (BLVKK) sowie die im November 2022 gegründete „SK3 – Ständige Konferenz für Kunst & Kultur in Bayern“. Als Interessenvertretungen bemühen sich beide Einrichtungen um eine gesamthafte, zumindest aber teilmarkt-/genreübergreifende Behandlung branchenrelevanter Themen. Die SK3 fokussiert dabei auf die Freie Kunst- und Kultur-Szene Bayerns, während sich der BLVKK schwerpunktmäßig dem erwerbswirtschaftlich orientierten Teil des Kultur- und Kreativsektors widmet. Beide verstehen sich als Adresse und Gesprächspartner für Politik und Verwaltung, die branchennah und engagiert die Anliegen des Sektors und ihrer jeweiligen Klientel vertreten. Das setzt sich bei der SK3 aus den Interessenvertretungen einzelner Kunstformen und beim BLVKK vor allem aus regionalen Netzwerken der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammen.
Auch auf Bundesebene lassen sich mit der zu Hochzeiten der Pandemie gegründeten „k3d – Koalition Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland“ ganz ähnliche Antworten auf die Fragmentierungsproblematik finden. Zusammengetan haben sich hier gewichtige Verbände aus den Bereichen Architektur, Buch, Bildende Kunst, Design, Games, Musik und Presse, um gemeinschaftlich die Interessen der Branche zu vertreten und ihre Bedeutung zu vermitteln. Ihr Ziel ist es, sich über die Pandemie und Vielfalt der Kultur- und Kreativwirtschaft hinweg auf die „großen [inhaltlichen] Linien zu einigen, sie zusammenzuführen und gemeinsam zu vertreten.“ Die Wucht der Coronakrise und fehlende Konzertierung in der Kritik der politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen, hat zu einem erkennbaren Bewusstseinswandel und dem Willen zur „Einheit in Vielfalt“ in der Branche geführt.
Wie wichtig der Wissenstransfer hinein in Politik und Verwaltung ist, um wirkungsvoll die Anliegen der Kultur- und Kreativwirtschaft zu adressieren, hat die Pandemie deutlich gemacht. Zusammen mit dem vom Bayerischen Wirtschaftsministerium finanzierten Bayerischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft (BZKK) pflegt das Bayerische Wirtschaftsministerium daher einen offenen Austausch mit den vielfältigen Anspruchsgruppen der Branche. Hervorzuheben ist außerdem die Verständigung auf interministerieller Ebene, die im Nachgang des letzten Berichts angeregt und etabliert wurde und dem Umstand Rechnung trägt, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in die Zuständigkeit gleich mehrerer Ministerien fällt. Ziel ist eine engere Abstimmung der Häuser in den jeweiligen Handlungsprogrammen und die gesamthafte Betrachtung der Branche. Letzterer Punkt wird zugleich mit einem neuen Veranstaltungsrahmen für die Multiplikatoren der Branche adressiert: den Bayerische Kultur- und Kreativwirtschaftskongress. Der Kongress wird einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des kultur- und kreativwirtschaftlichen Gefüges auf Ebene der Fachverbände, Kammern, Initiativen und Netzwerke leisten.
Neue Perspektiven
Die Europäische Kommission strebt danach, „kulturbasierte [ästhetische] Kreativität“ als Schlüsselressource wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prosperität zu stärken. Die schöpferische Kraft des Kulturund Kreativsektors findet so wachsende Anerkennung und soll „in Bildung und Innovation [gefördert werden], um Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen“.2 Zu diesem Zweck verfolgt die Europäische Kulturagenda die „Schaffung günstiger Ökosysteme“, die sich aus einem besseren Zugang zu Finanzierung, Innovationsfähigkeit, einer angemessenen Vergütung für Urheber sowie sektorübergreifende Zusammenarbeit heraus entwickeln.3 Damit ist ein Referenzpunkt auch für die bayerische Kultur- und Kreativwirtschaftspolitik gesetzt. Insbesondere zwei Initiativen der Europäischen Union lassen sich hier als wichtige Impulse begreifen: Die Anfang 2021 durch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lancierte „Neue Europäische Bauhaus (NEB) Initiative“ sowie die in Gründung der Wissens- und Innovationsgemeinschaft „Kultur und Kreativität“ des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT CC) im Jahr 2023. Beide Maßnahmen zielen darauf ab, den europäischen Kultur- und Kreativsektor als Ideenquelle, unternehmerische Kraft, Brücke in die Lebenswelt der Menschen und damit wichtige Ressource der Transformation nutzbar zu machen. Ziel ist nicht nur die Überwindung vielfältig definierter Grenzen (fachlich, funktional, sektoral, geographisch etc.), sondern die Ausbildung neuer Einheiten zwischen Kultur und Technik, Geistes- und Naturwissenschaft sowie darüber hinaus den Bereichen Bildung, Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft. Angestrebt wird also eine neue Gemeinschaftlichkeit in der Erforschung und Bearbeitung der drängenden Themen der Zeit und der Incentivierung von Kreativität und innovativen Lösungen. Beide Initiativen sind ausgestattet mit EU-Fördergeldern und dazu angelegt, die wirtschaftliche Entwicklung des kultur- und kreativwirtschaftlichen Ökosystems kommunal bis transnational zu treiben.
Bayern greift diese Impulse auf und arbeitet daran, die Branche stärker im europäischen Kontext zu verankern. Frühzeitig hat sich das Bayerische Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft in Trägerschaft der Bayern Innovativ GmbH bei beiden Initiativen eingebracht. Als Mitglied des „ICE Germany – Vereins für Forschung und Innovation in der Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands“ ist es sogenannter Core Partner im „EIT CC“ und engagiert sich dafür: i. Kultur-und Kreativwirtschaft (KKW) als innovative Forschungspartnerin zu etablieren, ii. sie als Ressource der Erkenntnisgewinnung im Forschungs- und Entwicklungsprozess nutzbar zu machen (-artistic research) und iii. sie als Erkenntnisobjekt selbst in den Fokus zu stellen. Das bedeutet zum einen, relevante Entwicklungen zu identifizieren und für die Branche sichtbar und begreifbar zu machen, Informationen zur Verfügung zu stellen und Austausch zu ermöglichen. Zum anderen aber auch, neue Handlungsräume zu eröffnen, Schnittstellen zu bilden und förderfähige, transsektorale Projekte anzubahnen unter konkreter Mitwirkung der bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit der Beauftragung des NEB Living Labs zum Thema Erneuerbare Energie hat das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie zudem einen Explorationsraum im Arbeitszusammenhang der Nachhaltigkeit geschaffen und die Neue Europäische Bauhaus Initiative bayerisch profiliert.
Strukturen der Unterstützung
Für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Bayern ist die Kultur- und Kreativwirtschaft von erheblicher Bedeutung. Als ökonomische Größe, Reservoir vielfältiger Kulturtechniken, Ort ästhetischer Innovation und wichtige Ideenquelle für neue Lösungen, die versprechen, wirtschaftlich, nachhaltig und gesellschaftlich wirkungsvoll zu sein. Verantwortung von Politik und Verwaltung ist es, die Bedingungen herzustellen, die es der Branche ermöglichen, sich bestmöglich zu entfalten und im Wettbewerb – national wie international – zu bestehen. Aufgrund der hohen Veränderungsdynamik, angetrieben durch technische Entwicklungen und eine galoppierende Digitalisierung, ist diese Aufgabe herausfordernd. Die Ausbreitung generativer Künstlicher Intelligenz ist hier nur eines der prägnantesten Beispiele. Insofern, als sie die kultur- und kreativwirtschaftliche Produktionspraxis in weiten Teilen verändern wird und ganz nebenbei sehr grundsätzliche Fragen zur menschlichen Kreativität, zur Rezeption künstlerisch-kreativer Arbeiten und auch dem Verhältnis von Mensch und Maschine aufwirft. Routineaufgaben werden zunehmend automatisiert und die menschliche Kreativität wird erweitert durch die Kombinationsleistungen der Künstlichen Intelligenz. Immer mehr rückt damit auch die Ausbildung notwendiger Kompetenzen an der Schnittstelle von Kultur und Technik in den Fokus, während traditionelle Berufsbilder ihre klaren Konturen verlieren. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist dabei nicht nur Gegenstand, sondern auch Treiberin von Veränderungen und wichtige Quelle wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prosperität.
Mit dem Bayerischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft, den kommunalen Unterstützungsreinrichtungen wie etwa dem Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft des Landeshauptstadt München, der Kreativbehörde Regensburg oder der Kreativwirtschaftsförderung der Stadt Augsburg und der wachsenden Zahl an regionalen Branchennetzwerken steht der bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaft ein zunehmend sich verdichtendes Vernetzungs-, Beratungs- und Informationsangebot zur Verfügung, um die Branche auf dem Weg der Transformation zu begleiten, sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zu öffnen für neue Felder des schöpferischen Tätigseins.
- Dazu zählen u. a. die Unvorhersehbarkeit kreativer Erfolge, das Streben nach ästhetischer Qualität zu Ungunsten besserer Ertragsperspektiven, die unbegrenzte Vielfalt kreativer Güter, das Vorherrschen multiplikativer Produktionsbeziehungen (Güter der Kultur- und Kreativwirtschaft entstehen zumeist in ausdifferenzierten Netzwerkstrukturen) sowie das unterschiedliche Können der Akteurinnen und Akteure selbst. Sie alle begünstigen die Ausbildung kleinteiliger Strukturen, s. hierzu Caves, Richard E.: Creativ Industries: Contracts between art and commerce, Harvard University Press 2000. ↩︎
- Europäische Kommission: Eine neue europäische Agenda für Kultur. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. SWD (2018) 167 final, 22.05.2018, S. 4, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018DC0267 [zuletzt aufgerufen: 14.05.2024]. ↩︎
- ebd. ↩︎